Bericht über den Frauen*streik 2019 im Kanton Solothurn

Erste Treffen und die Kollektiv-Gründung

Am 5. Februar wurde das Frauen*streik Kollektiv Kanton Solothurn im Cultibo Olten gegründet. Rund 30 Menschen verschiedensten Alters und aus unterschiedlichen Ecken des Kantons haben sich an dem Tag getroffen. Nachdem Eva im Herbst 2018 die Initiative ergriffen hatte, auch im Kanton Solothurn ein Kollektiv zu bilden und mögliche Interessierte anschrieb, haben sich Daniela, Moira und sie am 26.10.18 erstmals zu einer Sitzung getroffen. Anschliessend luden diese am 5. Februar 2019 zu einer Sitzung ein, um die Sache ins Rollen zu bringen. Und das kam es dann auch. An der Gründungssitzung wurden Arbeitsgruppen ins Leben gerufen und am 22. Februar fand das zweite kantonale Treffen in Solothurn statt, an dem wieder rund 30 Leute anwesend waren, darunter neue und bereits bekannte Gesichter.

Grundsatzentscheide

Uneinig war sich mensch zunächst darüber, wo der Streik stattfinden soll. Überall verteilt? In Grenchen, Olten und Solothurn? Nur in einer Stadt? Der vorläufige Entschluss war: Möglichst dezentrale Aktionen sollen stattfinden und in Olten und Solothurn war etwas Grösseres geplant. Einerseits wollten wir uns nicht verzetteln, andererseits möglichst vielerorts präsent sein. Wir überlegten uns damals, dass wohl in Olten und Grenchen je 150 und in Solothurn 300 Personen zu erwarten seien. In Olten wurden es dann über 300, in Solothurn über 2000 und in Grenchen rund 70. Wir diskutierten zudem an der Sitzung, ob die Sitzungen vom Frauen*streik-Kollektiv künftig für alle Geschlechter offen sein sollten oder ob die Sitzungen nur unter Frauen* stattfinden sollten. Wir entschieden uns klar dafür, dass alle Geschlechter willkommen sein sollen. Die einzelnen Arbeitsgruppen konnten dies jedoch wiederum selbst bestimmen. Diese Frage warfen wir ab und zu in der Folge in Bezug auf einen Anlass oder nach dem Streik bei der Weiterführung wieder in die Runde. Aber es blieb dabei: Wir wollen, dass sich engagierte Männer* für Frauen*rechte solidarisieren können, sich mitemanzipieren und strukturelle Unterdrückung im Allgemeinen ein Ende hat. Während der Organisation des Frauen*streiks haben wir leider durchaus Erfahrungen mit einzelnen Männern gemacht, die paternalisierend kommuniziert oder agiert haben. Einerseits zeigt uns das ja gerade, dass wir kein Geschlecht bei dieser Emanzipation vergessen dürfen. Und andererseits gibt es viele engagierte Männer, die gut und gerne anderen Männern erklären, warum ihr Verhalten gerade daneben ist. Und uns einen Teil dieser mühsamen repetitiven Erklärungen solidarisch abnehmen. Und am wichtigsten: Wir kämpfen nicht gegen ein anderes Geschlecht. Wenn schon, dann gegen die gängige Geschlechterkonstruktion an sich. Wir kämpfen gemeinsam für eine Welt ohne Diskriminierung. Gegen ein System, in dem die meisten meistens verlieren und es viel zu vielen stets nur knapp reicht.

Es wurde zunächst keine Diskussion darüber geführt, wie wir als Kollektiv Entscheide fällen. Und so wurden die lautesten, auch in der fast-Frauen*-Runde wahrgenommen und diejenigen, die solche Debatten nicht so gewohnt waren, äusserten sich entsprechend weniger. Das war uns eine Lehre. Es wurde schlussendlich ein Verein gegründet, damit wir unsere Unabhängigkeit von Parteien und Gewerkschaften nicht einbüssten und ein Konto eröffnen konnten.

Für Grenchen, Solothurn und Olten entstanden regionale Organisationskomitees, die sich regelmässig trafen und den konkreten Ablauf des Streiktags vorbereiteten.

Regionale OKs und Aktionen

Im Kreuz in Solothurn fand am Frauentag (nach neuer alter Tradition) ein Anlass statt, an dem der Film «Female Pleasure» gezeigt wurde. In Olten wurde am 8. März zu einem GleichstellungsTrunk eingeladen.

Im Vorfeld des Streiks  gab es in Olten bereits eine Palette von Aktionen im öffentlichen Raum: Das «Denk mal!», als Oltner Kunstwerke und Skulpturen (bspw. die Dame auf dem Brunnen des Oberen Grabens) mit violett-pinken Accessoires, Fakten und Forderungen zum Frauen*streik bestückt und verschönert wurden. Im Kino Lichtspiele und am ersten «Women in Film Festival» im Kino Capitol wurden grossartige und bewegende Filme über beeindruckende Frauen* aus Gegenwart und Vergangenheit gezeigt. An der 1. Mai-Feier in der Schützi hielten zwei Repräsentantinnen des Oltner Kollektivs eine flammende Rede, welche die Teilnehmer*innen im Saal aufforderte, am Streik teilzunehmen, sei es solidarisch als Mann oder streikend als Frau*. Die gestellten Forderungen kamen nicht nur gut an, was zu Diskussionen mit skeptischen Genossen führte. Dies war jedoch kein Grund, nicht weiter zu machen, sondern animierte das Kollektiv umso mehr einen erfolgreichen Streik in Olten auf der Kirchgasse zu organisieren.

In Grenchen war das Thema Frauen*streik ebenfalls bereits am 1. Mai präsent: Es gab einen pink-violetten Umzug und Tamara Funiciello hielt eine deutliche Ansprache.

Auch in Solothurn hielt eine Vertreterin des Frauen*streiks eine 1. Mai-Rede und das Kollektiv brachte viele selbstgemachte Streikpins und die Streikpost unter die Leute. Am 7. und 28. Mai wurde zu einer StreikBar im Infoladen Cigno Nero eingeladen. Dort konnten sich bereits Aktive und Interessierte treffen, um sich auszutauschen, zu diskutieren und zu planen. Ein StreikChor studierte an drei offenen Proben feministische und empowernde Lieder ein, die am 14. Juni auf dem Kreuzackerplatz und während der Demo gesungen wurden.

Zudem wurden viele Transparente gemalt und ein Teil davon konnte an der Kreuzackerbrücke aufgehängt werden. Wobei die Polizei, obwohl eine Bewilligung vorlag, die Transpis zwei Mal innert kürzester Zeit abhängte – der Grund war schlechte interne Kommunikation. Ausserdem bezeichnete die Stadtpolizei eines der Plakate fälschlicherweise als rassistisch. (Zu dieser Episode gäbe es noch mehr zu sagen.)

Am 6. Juni veranstaltete die Fachstelle Lystrada im Hinblick auf den Frauen*streik einen Flashmob, um auf die oft kaum sichtbare und äusserst prekäre Arbeitssituation von Sexarbeiterinnen aufmerksam zu machen. Dort waren viele Frauen*steikler*innen aktiv dabei.

Letzte Sitzungen und Vorbereitungen

Am 29. März fand die 3. Kantonale Sitzung statt und in der Zwischenzeit war einiges gelaufen. Die OK’s und AG’s planten und organisierten im März viel. Die Sitzung war darum keine Vollversammlung mehr, sondern eine Koordination mit gut 10 Frauen. Bei einer vierten Sitzung glichen wir wieder ab, was an den verschiedenen Orten passiert ist. Und an der letzten Sitzung vor dem Streik, am 29. Mai, beschlossen wir die Forderungen, die wir am 14. Juni den beiden Solothurner Regierungsrätinnen übergeben würden und klärten die letzten Zuständigkeiten. An dieser Sitzung waren, entgegen unseren Erwartungen, wenig Leute anwesend. Wir hätten gerne eine breitere Diskussion zu den vorgeschlagenen Forderungen geführt, diese fand dann jedoch in kleinem Rahmen statt.

Die Demoroute wurde nicht wie gewünscht bewilligt. An der letzten Solothurner Vorbereitungssitzung wurde beschlossen, dass der offiziellen Demoroute gefolgt werden soll. Unter anderem, damit die Demoleiterinnen nicht zusätzlichem Stress ausgesetzt sind.

14. Juni 2019

Und dann war der 14. Juni 2019 da.

Eine Kita in der Region Solothurn beschloss zudem im Vorfeld des Streiks, am 14. Juni den ganzen Tag zu schliessen. Auch Kirchgemeinden thematisierten den Frauen*streik und Frauen* streikten zum Teil vom 14.-16. Juni, da ihre Arbeit besonders am Wochenende sichtbar ist. Von den Gewerkschaften aus fanden Verteilaktionen und Aktionen in Betrieben statt. Beispielsweise in Wangen bei Olten in einem Reinigungsbetrieb und dem Coop-Verteilzentrum. (Leider können wir keine Zusammenfassung zur der tatsächlichen Arbeitsniederlegung liefern.)

In Grenchen versammelten sich auf dem Marktplatz ca. 60-70 Besucher*innen bei Kaffee und Gipfeli. Beim Stadthaus wurden die Forderungen platziert, bevor sich rund 40 Frauen und Männer mit Bahn und Auto auf den Weg nach Solothurn machten. Ausserdem gab es eine Solidaritätsaktion auf einer Baustelle mit 43 Personen.

In Olten versammelten sich rund 350 Menschen auf der Kirchgasse. Auch dort gab es ab 10.00 Uhr Kaffe und Gipfeli und in der verlängerten Mittagspause wurde violetter Risotto von solidarischen Männern gekocht und geschöpft.

Zu einem Zeitpunkt des Streiktages tanzten fast ausnahmslos alle Streikenden Tarantella. Während eines anderen hielt Slam Poetin und Kabaretistin Lisa Christ eine starke Rede. Das OpenMic (offenes Mikrofon) war offen für alle Frauen*, die ihre spontanen und ergreifenden Botschaften mitteilen wollten und Politikerinnen überbrachten Grussbotschaften. Iandra, Elian Zeitel, Franzsika «Franz» Grütter und FrauenChorSingen – alles Künstlerinnen aus der Region – unterstrichen den Streiktag mit ihren musikalischen Darbietungen. Die vom Kollektiv erarbeiteten 12 Forderungen wurden den beiden amtierenden Stadträtinnen übergeben, mit dem Auftrag, diese den männlichen Mitgliedern mitzuteilen und in ihre Geschäfte aufzunehmen.

Dem Aufruf, mit dem 15.02 Uhr-Zug nach Solothurn weiterzuziehen, folgten etwa 180 Streikende in rosa und violett, mit Trillerpfeifen ausgestattet. Solidarische Männer kümmerten sich ums Aufräumen auf der Kirchgasse und einige kamen später nach.

In Solothurn angekommen, wurde der euphorische Demozug aus Olten mit Willkommensrufen, Musik und Getöse herzlich empfangen.

In Solothurn fing das Programm um 11.00 Uhr mit der verlängerten Mittagspause an, wobei alle etwas zum Chaosbuffet mitbrachten und es zusätzlich Essensstände von solidarischen Männern gab. Im Kreuz führten ebenfalls solidarische Männer eine Kinderbetreuung durch. Es konnten Forderungen auf ein grosses Plakat geschrieben werden, das später der Mal-Lust von Kindern zum Opfer fiel. Eine Kunstaktion auf der Kreuzackerbrücke thematisierte die unsichtbare Arbeit von Frauen. An Ständen konnten T-Shirts bedruckt und Buttons gemacht werden. Von 10.45 bis10.58 Uhr läuteten die Glocken der reformierten Kirche zum Streiktag.

Es gab ein offenes Mikrofon, eine Rede von Miguel Misteli und es trat eine kurdische Tanzgruppe auf.

Um 15.24 Uhr, dem Zeitpunkt, ab dem Frauen* an einem Normalarbeitstag aufgrund der Lohnunterschiede nichts mehr verdienen, startete eine Lärmaktion.. So wurden die Grenchner*innen, Oltner*innen und andere Demonstrant*innen empfangen.

Zum Demostart hielt Franziska Roth eine Rede. Die Demo ging ausgehend vom Kreuzackerplatz am Landhausquai entlang und den engen Stalden hinauf bis zum Amthausplatz. Dort redete Selda Umuaka, von der kurdischen Frauengruppe von Solothurn. Statt auf dem Vorplatz der Baloise Bank versammelten sich die Demonstrant*innen spontan auf dem Amthausplatz und legten so den Busbetrieb lahm. Die über 3000 Demonstrant*innen mussten alle durch das Altstadt-Tor Bieltor hinaus und wieder zurück. Ausserdem standen an zwei Stellen der Demoroute Autos im Weg, eines war offensichtlich an einem Umzug beteiligt. Aufgrund der unerwartet vielen Teilnehmer*innen war unser Demozug langsamer und später als geplant. Doch offensichtlich hielt es die Polizei nicht für nötig, die Route richtig zu räumen und sichern. Vom Amthausplatz ausgehend ging es durch die Altstadtgassen hinauf zum Rathaus, wo die kantonalen Forderungen durch Laura und Doris den beiden Regierungsrätinnen, Susanne Schaffner und Brigitte Wyss, übergeben wurden. Danach lief der Demozug hinunter zur St. Ursen-Kathedrale, wo sich die Menschen auf der Treppe für ein Foto versammelten und eine aufgenommene Ansprache von zwei Organisatorinnen über den Soundwagen abgespielt wurde. Auf dem Klosterplatz hielt Simone Wyss die letzte Rede auf der Demoroute.

Zurück auf dem Kreuzackerplatz hielt Daniela Ianni eine Rede, anschliessend spielten çiçek taksi, Syléna Vincent, Claudia Stephani, Elena Gerster und Empress Piru. Und schlussendlich ging es nach 22.00 Uhr im Kreuz mit einer Afterparty weiter.


Hier findest du weitere der Sachen aus 2019: frauenstreik2019.ch/solothurn